Dank an Enida Delalić für das Fotografieren!

In der ehemaligen „Bauerschen Gießerei“ in der Hamburger Allee 45 hatten sich in den bewegten 70er Jahren einige alternative Projekte eingerichtet.

 Darunter waren wir vom ID, die Abkürzung für Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten.

 Wir vom ID verstanden uns als eine Art Presseagentur. Mit einer Besonderheit: Hier sollten „Betroffene“ zu Wort kommen und Nachrichten veröffentlicht werden, die sonst keine Öffentlichkeit finden würden.

In der Hamburger Allee 45, in den Räumen neben uns hatte sich der Druckladen angesiedelt und der Pflasterstrand, die Stadtzeitung der Bewegung. Gegründet wurde der ID im Jahr 1973 mit Sitz in der Homburger Straße. Dort war auch der Druckladen untergebracht. Der Pflasterstrand war im Herbst 1976 gegründet worden, zunächst mit Sitz im Häuschen, einem Hinterhaus in der Kurfürstenstraße.

Es gab damit viele freiagierende Menschen, Besucher, ständig anwesende ID Mitarbeiter, die die Redaktion, die Produktion und den Versand organisierten. Der wichtigste Ort, wie in den zahlreichen entstandenen Wohngemeinschaften, war auch hier die Küche. Neben den IDlern trafen sich dort Mitarbeiter des Druckladens und des Pflasterstrands.

Allen gemeinsam war, daß irgendwann der Hunger einen Ortswechsel erforderte: Was zur Auswahl stand, war nicht wirklich befriedigend: Mensa, Kaufhaus Bilka auf der Leipziger Straße oder eins der Restaurants in der Nähe….

Beim ID boten wir neben spontanen Kochexperimenten eine Zeitlang ein regelmäßigeres Essen an, das alle genießen konnten. Warum wir, Marion und Mara, gerade im September 77 den Entschluss fassten, in der improvisierten Küche ein tägliches Essen anzubieten, wissen wir nicht mehr. Vielleicht trugen die politischen Entwicklungen dazu bei, daß wir uns gerne zusammen an einen Tisch setzen wollten. Jedenfalls gingen wir mit viel Elan und Phantasie unser „Kantinen Projekt“ an.

„The wonderful, wonderful soupstone“, dieses Gedicht hing an der Wand ein Text darüber, wie aus wenig Zutaten ein Essen zubereitet wird, von dem alle satt werden. Es sollte möglichst frisches, wohlschmeckendes, gesundes, aber auch günstiges Essen sein.

Also richteten wir die noch karge Küche erstmal mit zusammengesuchtem Mobiliar wohnlich ein. Sie wurde zu einem wichtigen Treff- und Sammelpunkt für die jeweils Anwesenden. Der Speiseplan war unkonventionell und abwechslungsreich, selten wiederholten wir ein „Menu“.

Wir sind auch mal zur KartoffelNachlese oder zum Kräuter- oder Äpfelsammeln in die Wetterau gefahren.

Gekocht haben wir nach eigenem Geschmack und Angebot, immer Vorspeise, Hauptspeise und Nachtisch.

Kritik an manch abenteuerlicher Zusammenstellung kam eigentlich nie.

Morgens schätzten wir die Anzahl der möglichen Esser, kauften ein und stellten nach der Zubereitung meistens fest, daß viel mehr Leute kamen als gedacht: mal waren 15, mal 50 da.

Auch die Zahlungsmoral war unterschiedlich, so daß die Einnahmen die Ausgaben nicht immer deckten.

Für den Zeitraum ab dem 16. September 1977 haben wir ein Dokument wiedergefunden (was uns sehr freut), das als Kassenbuch bezeichnet wurde, aber viel mehr ist: Es ist eine Koch-Chronik der ID-Kantine, mit Rezepten, Einnahmen/Ausgaben und Kommentaren. Das Frankfurter Archiv der Revolte erhielt von uns eine Kopie und wird Auszüge mit schöner Unregelmäßigkeit daraus veröffentlichen.

 

Mara und Marion, April 2023